Jahresendbrief 2018

Liebe grüne Freundinnen und Freunde,

Anfang des Jahres starb Paul Bocuse. Am 26. Januar 2018 kamen tausende Köche in ihren weißen Kochmützen und -jacken in der Kathedrale von Lyon zusammen, um diesem Jahrhundertkoch zu gedenken. Diesem großen Koch, der auf die Frage, wer denn in seinem Restaurant koche, wenn er nicht anwesend sei, unumwunden zugab, dass derselbe koche, auch wenn er da sei. Er war also der Koch, der sich für die große Linie zuständig sah und nicht nur fürs Kochen. Dabei hatte er aber jedes Detail im Auge. Dieser Koch war nicht nur ein lebendes Monument Frankreichs als Land der Küche und des Kochens, sondern er hat in vielerlei Hinsicht tatsächlich große Verdienste erworben. Seine Gerichte sollten nach den Zutaten schmecken, die Zutaten den Jahreszeiten entsprechen und die Regionalität sollte bewahrt bleiben. Diese neue alte Küche ist es, die auch für uns heute wieder spannend und aktuell ist. Die Dauerhaftigkeit dieser einfachen Idee, die sich bei ihm auch seit den 1970ern immer wieder abgewandelt hat, hat das Genie am Herd erkennen lassen, das er war. Und ich gebe unumwunden zu: Das Rezept für Waffeln nach Art der Oma Bocuse aus seinem Kochbuch „Die neue Küche“ kann ich nicht übertreffen.

Tatsächlich hätte ich erwartet, dass die Generation und die Zeit der „großen Männer“, die die Geschicke der Welt auf ihren Schultern zu tragen meinen, an ihr Ende gekommen wäre. Doch leider lehrt uns die Gegenwart etwas anderes. Es sind zwar nicht die „Männer der Stunde“, die gerufen werden, aber es sind Personen, die meist ein jung-frisches Charisma mitbringen. Ein Charisma, das sich stark von den grauen Sitzungszimmern der repräsentativen Demokratie unterscheidet. Ich denke dabei an den eher liberalen Macron oder den deutlich weniger liberalen Sebastian Kurz. Sie sind zugleich die obersten Politiker und die obersten Politikkritiker, ein unglückliches Konstrukt…

Unsere deutsche Demokratie hat auch in diesem Jahr bewiesen, dass sie in einer immer tiefer werdenden Krise steckt. Die Koalitionsverhandlungen – zunächst für Jamaika, dann für die nächste Große Koalition – waren eben kein Glanzstück unseres repräsentativen Systems. Ich persönlich möchte hier wieder auf die möglicherweise erfrischenden Elemente einer Minderheitsregierung hinweisen, denn die Stabilität, die uns Deutschen ja ach so wichtig ist, erscheint mir nicht durch einen solchen Versuch gefährdet. Vielleicht ist es eher belebend.

Um ein etwas überbeanspruchtes Zitat ins Felde zu führen: Es geht ein Gespenst um in Europa. Es ist das Gespenst des Populismus. Mich besorgt nicht der schreiende, der pöbelnde, der marktschreierische Populismus. Es ist der Populismus des „das muss man doch mal sagen dürfen“, der dem vermeintlichen Volkswillen hinterher hechelt. Der Populismus, der Angst vor der Auseinandersetzung hat. Der Populismus, der eine vermeintliche Gruppe identifiziert und diese zum Feindbild aufbaut. Und mit der Angst vor den internationalen Führungseliten taucht plötzlich auch wieder das antisemitische Klischee auf, heizt den Antisemitismus an. Diese Mechanismen sind es nämlich, die die Saat für die nächste Stufe des Populismus legen, der sich langsam auch wieder bemerkbar macht. Dies sind Entwicklungen unserer Zeit, des vergangenen Jahres, die mich umtreiben.

Wie gehen wir damit um, wenn nach dem schrecklichen Einsturz der Autobahnbrücke in Genua die Europäische Union und ihre Sparzwänge zu recht oder unrecht verantwortlich gemacht werden? Wie gehen wir damit um, dass nächstes Jahr der Brexit ansteht, den eigentlich so nun auch niemand wollte? Wie gehen wir damit um, wenn die Diskussion über den Plastikmüll, die geführt werden muss, wenn man sich die Regale in Drogerie- und Supermärkten ansieht, auf die Diskussion um den Plastikstrohhalm reduziert wird und von vielen Seiten daraus die nächste EU-Gurkenkrümmungs­verordnungs-Satire gebastelt wird? Ich sage es immer wieder: Die EU ist das erfolgreichste Friedensprojekt, das es auf unserem Kontinent je gegeben hat! Wir müssen noch dringender daran arbeiten, die wirtschaftlichen Fundamente mit einem sozialen, kulturellen und emotionalen Rahmen zu versehen. Wir brauchen ein Europa, das jeder Europäerin das Gefühl von Frieden und Freiheit gibt.

Wenn ich das Jahr so Revue passieren lasse, dann stelle ich fest, wie wenig Kriege und Gewalt eigentlich darin medial präsent gewesen sind. Dabei sind in Afghanistan über 35.000 Menschen, im Irak 4.000, in Syrien fast 30.000 und im Yemen 25.000 Menschen direkt durch Krieg und Gewalt gestorben. Und das sind nur die großen Zahlen, von Konflikten und Kriegen, die uns etwas sagen: Fast 1.000 Tote im Kongo, obwohl der Kongokrieg ja eigentlich seit 2009 beendet sein soll; in Äthiopien kämpfen Oromo und Somali gegeneinander und über 800 Menschen verloren dabei 2018 bisher ihr Leben.

Diese kleineren, von uns fast unbemerkten Konflikte sind es, die tausende, zig-, ja sogar hundert­tausende Menschen dazu bewegt, aus ihrer Heimat zu flüchten. Insgesamt sind etwa 70 Millionen Flüchtende derzeit auf unserem Planeten zu verzeichnen, die meisten Flüchtlinge aber bleiben innerhalb ihrer Länder. Einige suchen aus Verzweiflung auch in Europa eine bessere Zukunft: In der ersten Jahreshälfte, also in 183 Tagen sind dabei aber laut der International Martime Organisation über anderthalb Tausend im Mittelmeer ums Leben gekommen! Auch das gehört zum letzten Jahr. Es ist nicht „alles gut“, wie wir leichtfertig auf Nachfragen antworten. Ganz im Gegenteil! Jede einzelne von uns sollte sich da fragen, wie wir hier im Alltag Verantwortung übernehmen können.

So viel mehr gäbe es noch, über das ich schreiben, nachdenken, mit Euch diskutieren würde. Stattdessen möchte ich von den Landtagswahlen in Hessen und Bayern im vergangenen Jahr zu den anstehenden Wahlen überleiten: Denn Europa wählt 2019! Wir müssen mit unseren grünen Ideen dafür werben, dass Brüssel und Straßburg nicht unpersönliche Apparate sind, sondern unsere Zukunft, unsere Hoffnung und im besten Sinne unser Schicksal! Gerade wenn wir damit rechnen müssen, dass aus verschiedenen Staaten der EU Parlamentarierinnen ins Parlament entsandt werden, die ebendiese EU ablehnen, dann sind wir als überzeugte Europäerinnen gefordert. Gefordert aktiv zu werden, begeistert zu sein und mitzureißen.

Für uns vor Ort steht am selben Tag die Landratswahl an. Weber möchte nochmal weitermachen. Weitermachen wie bisher: Ohne eine Vision, ohne Respekt vor Bürgerwillen, ohne den notwendigen Gestaltungswillen, den Landkreis Aurich und damit auch weite Teile Ostfrieslands voranzubringen. Wie schaffen wir es, den besonderen Charakter unserer Kulturlandschaft zu bewahren, dabei aber auch ein lebenswerter und moderner Lebensraum zu sein? Wie gehen wir mit dem anstehenden Wandel um, der unsere Region erschüttern wird: Wenn in Emden die VW- Produktion nun geändert wird und wenn dort hunderte Arbeitsplätze sozial verträglich abgebaut werden, wenn Enercon die Produktion an anderen Standorten ausbauen und bei uns abbauen wird. Wir müssen uns auf grundlegende Veränderungen einstellen. Noch mehr Tourismus an der Küste und auf den Inseln? Wäre das eine Antwort? Und der demographische Wandel? Ostfriesland wird älter. Wie wollen wir damit umgehen? Wenn aus vielen Teilen Deutschlands Menschen im Alter z. B. nach Norden und Norddeich ziehen, was heißt das für diese Stadt und die Region?

In diesen Zusammenhang gehört für mich auch die Klinikfrage: Die zweijährige Bindung der Politikerinnen an das Votum der Bevölkerung läuft nächstes Jahr aus und die politischen Mehrheiten wollen die Zentralklinik nun endlich durchdrücken. Können Norden und Aurich attraktive Standorte für junge Leute sein, wenn die Geburtsstation nicht vor Ort ist und Städte mit 25, 41 oder 50 Tausend Einwohnern kein Krankenhaus innerhalb der Stadtgrenzen haben? Und wenn Ostfriesland attraktiv für den Zuzug von Menschen der Generation 60+ sein will, müssen dann nicht die Krankenversorgungen vor Ort gerade besonders attraktiv und gut sein? Der Landkreis als Träger des Auricher und des Norder Krankenhauses hat hier über Jahre und Jahrzehnte sich durch Herumeiern und schlechte oder fehlende Entscheidungen in eine denkbar schlechte Position gebracht. Haben wir Fachstationen aufgebaut, die regional und überregional Patientinnen anziehen, wenn sie für eine Fachbehandlung eine Klinik suchen? Nein, haben wir nicht. Hat sich der Landkreis ausreichend bei der European Medical School um Einbindung bemüht? Meines Erachtens bei Weitem nicht genug!

Wir Grünen müssen uns beraten, ob wir für die Zukunft auf Landrat Weber setzen wollen. Oder auf Olaf Meinen, der seine Kandidatur schon bekanntgegeben hat und von der Union unterstützt wird. Oder wird es noch eine Kandidatur aus grünen Reihen geben? Wir werden viel zu besprechen haben.

Das gilt auch für unseren Kreisverband. Denn wir hatten bekanntlich viele kleinere und größere Unruhen und seit dem letzten Winter leider schon den dritten Kreisvorstand. Das ist nicht die Wunschentwicklung, aber es ist so gekommen. Und unser Kreisverband ist davon, wenn ich das richtig sehe, noch nicht wieder zur Ruhe gekommen. Ich hatte 2016 in einem ebensolchen Brief geschrieben, dass das mein letzter Rundbrief zum Jahresende sein würde. Nun schreibe ich doch wieder als Mitglied des Kreisvorstands, weil ich gebeten worden bin, noch einmal einzuspringen. Aber, das muss ja auch gesagt werden, ich bin nicht von allen Seiten im Kreisvorstand gewollt (so ist Demokratie und ich kann damit gut leben) und ich möchte irgendwann meine Arbeitslast etwas verringern und mich auf die Arbeit im Kreistag und anderes konzentrieren. Deswegen werde ich wie angekündigt nach der Landratswahl aus dem Kreisvorstand wieder und dann endgültig ausscheiden und hoffe, dass sich bis dahin eine Diskussion darüber im Kreisverband ergeben hat, wohin unser Weg uns führen soll und wer dies im Vorstand begleiten, koordinieren und gestalten möchte.

Hierfür und für vieles mehr – gerade auch (ich sage es wieder und wieder) um über Europa zu reden – haben wir beim Neujahrstreffen Zeit, zu dem die Einladung hier beigefügt ist. Der gesamte Kreisvorstand freut sich auf Euch!

Der Kreisvorstand und auch ich persönlich wünschen Euch einen guten Rutsch und alles Gute für 2019!

Mit grünen Grüßen

Eure Beate

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